Als Person, die an einem 3. August geboren wurde, teile ich mir den Tag meiner Geburt u.a. mit den Schauspielerinnen Dolores del Río und Hertha Feiler, dem US-amerikanischen Schriftsteller Leon Uris, sowie mit König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Wer an Astrologie glaubt, wird vergeblich nach Ähnlichkeiten oder Parallelen zwischen uns, als am selben Tag Geborenen, suchen. Es existieren schlicht keine.

Als Kind wuchs ich in Norddeutschland auf, um genau zu sein in und um die Universitätsstadt Göttingen. Als Jugendlicher lebte ich in Stuttgart, auf dem wunderschönen Killesberg, einige Jahre auch in Herrenberg, in der Villa Knoll. Beides hat mich unterschiedlich geprägt: einerseits die norddeutsche Sprache, das dialektfreie Deutsch; andererseits die schwäbische Behäbigkeit, gepaart mit ihrem sprichwörtlichen Hang zu Fleiß und Beharrlichkeit. Noch etwas prägte mich für immer: die kosmopolitisch künstlerfreundliche Atmosphäre, die meine Jahre in Stuttgart und Herrenberg umgab. So lernte ich nicht nur eine nennenswerte Anzahl berühmter, wegen ihrer Persönlichkeit und ihres Intellekts interessanter Menschen aus Deutschland, den westlichen Ländern Europas, aber auch aus den USA, Kanadas, Chinas, Japans wie Israels kennen. Die im Elternhaus angeknüpften internationalen Kontakte konnte ich ab meinem 13. Lebensjahr durch regelmässige Besuche in Europa erweitern und ausbauen. Zwei Mal pro Jahr hielt ich mich zwecks Erlernens und Verbesserung meiner Sprachkenntnisse in England, Frankreich oder der französischen wie italienischen Schweiz auf. Die Sommerferien verbrachten wir regelmäßig vier Wochen lang auf Sylt.

Wichtiger als die Orte an denen ich aufwuchs, dürfte gewesen sein, dass dies ab der frühen Nachkriegszeit geschah, beginnend nur vier Jahre nach Gründung der demokratisch verfassten Bundesrepublik Deutschland, bzw. nur acht Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands. Dies gab mir Gelegenheit, sowohl die entbehrungsreichen Jahre des gesellschaftlich-wirtschaftlichen Aufbaus der Bundesrepublik hautnah mitzuerleben, wie deren Übergang ins deutsche Wirtschaftswunder, die 68er Revolution, die Gründung des Club of Rome, die Zeit der RAF, sowie die Zeit der Energiekrisen der 1970er Jahre.

All diese politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen waren ebenso prägend für Entwicklung und Ausgestaltung meiner Persönlichkeit; wie die Formung und Bildung meines Intellekts durch vier bemerkenswerte, prägende Lehrer-Persönlichkeiten, vornehmlich schulischen, aber auch des gesellschaftlich-privaten wie politischen Bereichs.

Mein Klassenlehrer an der Grundschule in Stuttgart half mir Selbstbewusstsein aufzubauen, sowie auf meine angeborenen wie mir innewohnenden Fähigkeiten und Stärken zu vertrauen. Er vollbrachte das Wunder, mich binnen sechs Monaten, von einem wasserscheuen Kind zu einem begeisterten Schwimmer zu formen. Es war dieser Lehrer, der sich die Zeit nahm, mir privat, in seiner knapp bemessenen Freizeit, Nachhilfe zu erteilen, die notwendig war, wegen des Schulwechsels vom niedersächsischen Göttingen ins schwäbische Stuttgart. Die Lehrpläne waren derart divergierend, dass ich ohne diese Form der individuellen Förderung ein ganzes Schuljahr verloren hätte.

Auch auf der weiterführenden Schule war mir das Schicksal wohl gesonnen: es brachte mich mit drei weiteren, prägenden Lehrern zusammen, die mich ungemein und positiv beeindruckten wie beeinflussten: Einer war Historiker und unterrichtete Geschichte, der Zweite war Lokalpolitiker und  Lehrer, der Gemeinschafts-/ Sozialkunde unterrichtete, während der Dritte, ein Germanist, mich in Deutsch unterrichtete, nebenbei selbst schrieb, wie als Kunst- und Literaturkritiker das lokale Feuilleton bereicherte. Dieses Trio prägte mich über die Maßen. Alle Drei förderten mein uneingeschränktes Interesse für ihren jeweiligen Fachbereich.

  • Der Historiker brachte mir Geschichte dermaßen nah, dass ich begann neben den Schulbüchern eine Vielzahl historischer Bücher zu lesen, sowie eine Passion für alles Historische zu entwickeln.

  • Der Lokalpolitiker, im Hauptberuf stellvertretender Direktor der Schule und einer der engagiertesten, gebildetsten Lehrer, denen ich je begegnete, fachte mein Interesse für Politik, Soziales und Journalismus an. Er war gleichzeitig einer der überzeugtesten Demokraten, die ich kenne. Noch bevor Deutschland 1949 seine staatliche Souveränität zurück erhielt, studierte dieser Mann, dank eines Stipendiums, in den USA. Er war der überzeugteste Transatlantiker, mit dem ich je zu tun hatte. Sein Beispiel und Vorbild brachte mich dazu bereits als Jugendlicher politische Veranstaltungen von SPD, FDP und CDU zu besuchen, um mir in Diskussionen meine eigene politische Meinung zu bilden. Sein Beispiel veranlasste mich, in und für soziale Einrichtungen und Probleme engagiert zu sein: ich besuchte und half an der Blinden- und Taubstummenschule, in Kindergärten und Horts an sozialen Brennpunkten Stuttgarts; besuchte und arbeitete mit geistig wie körperlich Behinderten in deren Werkstätten, engagierte mich für Terres des Hommes, fertigte während des Jahres eine Vielzahl kunstgewerblicher Dinge an, die ich, gemeinsam mit Gleichgesinnten, auf dem Weihnachtsmarkt in der Freizeit, verkaufte, um den Erlös sozialen Organisationen zu stiften.

  • Doch die mutmaßlich tiefste Prägung erfuhr ich durch den Germanisten. Dabei hatten wir zunächst keinen guten Start miteinander, im Gegenteil. Der Germanist war pedantisch und unerbittlich. Da mir das Lernen leicht fiel und der Unterrichtsstoff nahezu zuflog, ohne viel lernen oder mich anstrengen zu müssen, war ich damals recht oberflächlich, nahm es mit Formalien nicht genau. Folglich strotzten meine Aufsätze und schriftlichen Arbeiten vor Flüchtigkeitsfehlern und eigenwilliger Zeichensetzung. Bisherige Lehrer hatten darüber hinweg gesehen und mir dennoch gute Noten ergeteilt. Dieser Lehrer nun markierte meine Fehler und Nachlässigkeiten gnadenlos an und gab mir entsprechend schlechte Noten. Binnen eines Schuljahrs rutschte ich in Deutsch um zwei Noten ab. Natürlich war ich darüber wenig amüsiert. Das half nicht, unser Verhältnis zu harmonisieren, im Gegenteil. Dann ereignete sich das, was ich eines meiner literarischen „Erweckungs-Ereignisse“ nenne. Der berühmte wie damals irgendwie berüchtigte, umstrittene, aber dennoch grandiose Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor Gustaf Gründgens, hatte zur Zeit seiner Intendanz am Hamburger Schauspielhaus Goethes Faust, den ersten Teil, verfilmt. Regie hatte Peter Gorski geführt, den Gründgens später adoptiert und zum Alleinerben eingesetzt hatte. Gründgens gab den Mephisto, eine, wenn nicht seine Paraderolle. Sein Schwager, Klaus Mann, hatte nicht ohne Grund seinen SchlüsselromanMephisto“ genannt, und darin Gründgens gnadenlos parodiert. Das Buch stand damals auf dem Index, sprich es war verboten, nur illegal, sozusagen unter der Ladentheke zu erhalten. Ich besorgte mir nach dem Besuch des Films und Beginn meiner literarischen Recherche über den Faust, Goethe, Gründgens etc. ein Exemplar.
    Die Faust-Verfilmung – im Grunde genommen eine aufgenommene Theaterinszenierung Gründgenscher Prägung – hat mich stärker beeindruckt, als jeder andere Film. Das lag zum Teil an der unnachahmlich guten Darstellung Gründgens, seiner Mit-Schauspieler Will Quadflieg, Elisabeth Flickenschildt etc., sowie dem Goetheschen Text und dessen Handlung.
    Meine literarische Recherche ließ sich auf Dauer nicht verbergen, zumal der Stellenwert Goethes, insbesondere des Faust, in damaligen Lehrplänen noch einen anderen Stellenwert besaß, als gegenwärtig. Besagter Lehrer wurde hellhörig. Er stellte Fragen, wir begannen zu fachsimpeln, wobei sich meine Wissenslücken zeigten. Der Lehrer empfahl mir zusätzliche Literatur und war zugleich tief beeindruckt, wie sehr ich mich, abseits des schulischen Betriebs, in das Thema vertieft, ja regelrecht verbissen hatte. Schließlich schlug er vor, ich solle ein Referat über Goethes Faust halten. Meine Notizen und das aus dem gelesenen Material geschöpfte Wissen erwies sich als derart umfangreich, dass eine 45 minütige Unterrichtsstunde nicht ausgereicht hätte, die Arbeit zu präsentieren. Deshalb wagte besagter Lehrer, nachdem er meine Notizen gelesen hatte, etwas Revolutionäres: er überließ mir seine Deutschstunden für eine ganze Woche, was 8 Unterrichtsstunden entsprach. Gesagt getan. Ich war extrem aufgeregt. Meinen nicht einfachen Mitschülern 8 Unterrichtsstunden zu erteilen war eine hohe Anforderung. Angst bereiteten mir meine Mitschüler, von denen ich wusste, wie wenig Interesse für Literatur, speziell so alte Autoren wie Goethe mit einem antiquiertem Theaterstück namens Faust sie generell hatten. Wie sollte ich ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit eine Woche lang aufrecht erhalten? Erst nachdem mir besagter Lehrer versichert hatte, notfalls den Unterricht zu übernehmen und für Disziplin zu sorgen, wagte ich mich vor die Klasse.
    Was sich dann ereignete, überraschte mich über die Maßen. Meine Mitschüler blieben nicht nur erstaunlich ruhig; sie folgten meinen Ausführungen sogar aufmerksam und stellten eine Menge fragen, was ihr Interesse am Inhalt meiner Ausführungen bewies. Es gelang mir tatsächlich acht Unterrichtsstunden ohne Panne zu überstehen. Nachdem ich termingerecht – es war das erste Mal, dass ich acht mal 45 Minuten terminlich gestalten musste, um am Ende alles gesagt zu haben und innerhalb des Zeitrahmens zu bleiben – erhoben sich meine Mitschüler und applaudierten mir stehend. Auch der grundsätzlich gestrenge Lehrer zeigte sich angetan und unterstrich sein Lob, indem er mir eine sehr gute Note gab. Ab diesem Referat war das Eis zwischen uns gebrochen. Mein anhaltendes Engagement hatte beim Deutschlehrer eine 180 Grad Wende in Bezug auf  meine Person bewirkt. Von nun an sah er mich als seinen „Meisterschüler“, legte wert auf mein Urteil, bezog mich in seine außerschulischen Aktivitäten ein. Von nun an begegneten wir uns regelmäßig auf Vernissagen oder anlässlich von Lesungen, besuchten dieselben Theateraufführungen, um uns anschließend darüber auszutauschen. Es waren und blieben die geschilderten drei Themenbereiche, für die mich die erwähnten Lehrer lebenslang begeisterten: Literatur und Sprache, der politisch-gesellschaftlich-soziale Bereich, sowie Geschichte.

Obwohl ich angesichts des gesellschaftlich-sozialen Status meiner Familie die Möglichkeit gehabt hätte, problemlos im Anschluss an die Schule ein Studium aufzunehmen, entschloss ich mich, eine Buchhandelslehre zu absolvieren, um anschließend in der Lage zu sein, meinen Lebensunterhalt selbst zu finanzieren und mein Studium aus eigener finanzieller Kraft zu stemmen. Das war zwar der längere, schwierigere Weg, doch er ermöglichte mir, schnell unabhängig zu werden, dank vielfältiger Erfahrungen meine Persönlichkeitsbildung in positiver Weise abzuschließen.

Mein (berufliches) Leben spielte sich anschließend überwiegend in der Buchhandels- und Verlagsbranche ab. Statt meiner inneren Intention wie meinem Wunsch Bücher zu schreiben bereits im Alter von 18 Jahren zu folgen, gab ich mich zwei Ausbildungsgängen (Buchhändler, MBA) hin; versuchte mich kurze Zeit als Buchhändler, um festzustellen, dass man von den dort üblichen Hungerlöhnen nicht existieren konnte. Deshalb wandte ich mich den besser zahlenden Verlagen zu. Einige Jahre berauscht von dem, was man Karriere nennt, begleitet von wohlklingenden Dienst-Titeln, wachsendem Einkommen, Umsatzbeteiligung etc. wollte sich trotz leitender Position keine wirkliche Befriedigung im Beruf einstellen.

Erst meine Lebensmitte-Krise, die mich früher erwischte, als statistisch gesehen andere Männer, brachte, nach turbulenten Jahren, einen Neuanfang. Eine Auszeit, in einem abgelegenen Kloster auf Mallorca, dazu ein beängstigendes Erlebnis beim Besuch Roms, halfen, mich neu zu justieren und zu fokussieren. Das ging privat mit der schmerzlichen Trennung von Ehefrau und Kindern einher, eröffnete mir beruflich jedoch die seit dem 18. Lebensjahr erträumte Perspektive als Schriftsteller. Gerade weil Schreiben ein Mittel zur Selbstverwirklichung, zur Selbstfindung war und ist, habe ich im Verlauf meiner schreibenden Arbeit zur Schriftstellerei als Beruf gefunden. Der Schriftsteller als Beruf – wie aus Berufung – ist seit Thomas Mann selbstverständlich geworden; seit ihm wird Schreiben als ein Handwerk, als vollwertiger Beruf gesehen und anerkannt.

Wenn ich nun mein lebenslanges Thema benennen soll, so ist dies: Erinnerungen. Es hat in der deutschen Literatur vor mir eine Anzahl guter Biografen gegeben. Ich denke an Jacob Burckhardt, Stefan Zweig, Richard Friedenthal, Friedrich Sieburg, die ausgezeichnete Biografien geschrieben haben. Sieburg hat sich zur Entstehung seiner Chateaubriand Biografie geäußert. Er sagte: „Voraussetzung ist ganz einfach ein lebenslanges Interesse und intensive Beschäftigung mit der Figur. lch habe den Chateaubriand eines Tages gefunden, der ist mir auf meinem Lebenswege begegnet, eigentlich nur als ein Zufall, und das ist also dann in mich gefahren, und von dem Augenblick an habe ich alles gelesen, was über Chateaubriand geschrieben worden ist. Und vor allem habe ich, was vielleicht noch viel schwieriger war, alles gelesen, was er selbst geschrieben hat“.

Ähnliches kann ich über Vollmoeller berichten. Der hat sich mir ebenfalls genähert, erst hab ich ihn abgewiesen. Er schien mir uninteressant, meines Alters nicht gemäß. Beim zweiten Annäherungsversuch, nach der Lektüre des Briefwechsels zwischen Rilke und Vollmoellers Schwester Mathilde, fuhr ich ins Literaturarchiv Marbach, um möglichst viel über Vollmoeller zu finden und zu erfahren. Da hat er mich dann erwischt, hat mein Interesse geweckt. Seither beschäftigt er mich – auf die eine oder andere Weise. Die 2019 veröffentlichte erweiterte, bearbeitete Neuauflage der Biografie beweist es: sie enthält viel Material, das erst nach 2008, der Veröffentlichung der 1. Auflage, zugänglich wurde.

Seit 2008 habe ich, unter meinem Autorennamen, wie unter Pseudonym, insgesamt 32 Bücher geschrieben, von denen bisher 29 veröffentlicht wurden. Das Schreiben der Bücher, speziell von Fach- oder Sachbüchern, ist der befreiende Schlussakkord der Arbeit als Autor. Mühsam, oft von jahrelanger Fleißarbeit geprägt, ist dagegen die Phase der stofflichen Aneignung, der Recherche, dem Hinterherjagen nach Informationen, Menschen (z.B. Augenzeugen), der Besichtigung von Orten und Milieus. Das kostet sprichwörtlich viel Zeit; neben Geld ist die eigentliche Währung für derartige Informationen: Ausdauer, Beharrlichkeit, Fleiß, immer auch das nötige Quantum Glück.

Wer lesen möchte, was Dritte über mich schreiben, folge diesen Links:

Deutsches Literatur LexikonBiografisch-literarischer Artikel über meine Bücher und mich

Deutsche WikipediaArtikel über mich, versehen mit Verweisen, Links und Quellen

Rezensionszeitschrift deutsches BibliothekarwesenBesprechung der Karl Vollmoeller Biografie

Stuttgarter NachrichtenArtikel über Karl Vollmoeller, u.a. auf Basis eines Interviews mit mir