Eines der Motive, wenn nicht das entscheidende, weshalb ich schreibe, ist der Wunsch etwas zu erfinden, neu zu erschaffen. Schreiben als eigentlicher, existentieller Antrieb. Gerade weil Schreiben für mich ein Mittel zur Selbstverwirklichung, zur Selbstfindung war und ist, habe ich erst im Verlauf meiner literarischen Arbeit zum Beruf als Schriftsteller gefunden. Womit ich mich in guter Gesellschaft befinde: Max Frisch war zunächst Architekt, Heinrich Böll abgebrochener Buchhändler und Germanistikstudent, Friedrich Sieburg Journalist und Verlagsmitarbeiter etc.
Gerade weil Schreiben für einen Autor eine berufliche Aufgabe darstellt, hat sie zugleich etwas Amtliches, Bürokratisches. Der Schriftsteller als Beruf und aus Berufung ist seit Thomas Mann selbstverständlich geworden; seit ihm wird Schreiben als ein Handwerk, als vollwertiger Beruf gesehen. Welcher Eigenschaften bedarf ein Schriftsteller, um seinen Beruf ausüben zu können? Fleiß, Interesse an Menschen, ihren Nöten und Problemen, Konzentration, regelmäßiges, nahezu bürokratisches Schreiben. (Jeden Tag, eisern und diszipliniert, über mehrere Stunden)
Max Frisch, dessen lebenslanges Thema die Frage nach Identität war und blieb, von Lug und Betrug, beschrieb seine Überzeugung und sein Leit-Thema als Schriftsteller so: „Jeder Mensch … erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er, oft unter gewaltigen Opfern, für sein Leben hält, oder eine Reihe von Geschichten, die mit Namen und Daten zu belegen sind, so daß an ihrer Wirklichkeit, scheint es, nicht zu zweifeln ist. Trotzdem ist jede Geschichte, meine ich, eine Erfindung und daher auswechselbar … Was ich meine: jedes lch, das erzählt, ist eine Rolle. Das ist es, was ich darstellen möchte. Jede Geschichte, die sich erzählen läßt, ist eine Fiktion. Die Wahrheit ist keine Geschichte, sie ist da oder nicht da, die Wahrheit ist ein Riß durch den Wahn … was mich – und nicht nur mich – vor allem beschäftigt, nämlich die Entdeckung, daß jedes lch, auch das lch, das wir leben und sterben, eine Erfindung ist … Was wir in Wahrheit haben, sind Erfahrungen „Erlebnismuster“ Nicht nur indem wir schreiben, auch indem wir leben „erfinden wir Geschichten, die unser Erlebnismuster ausdrücken, die unsere Erfahrung lesbar machen. Dabei glaube ich, und das ist entscheidend für die Möglichkeit der Darstellung: Erfahrung ist ein Einfall, nicht ein Ergebnis aus Vorfällen. Der Vorfall, ein und derselbe, dient hundert verschiedenen Erfahrungen. Offenbar gibt es kein anderes Mittel, um Er-fahrung darzustellen, als das Erzählen von Geschichten: als wären es die Geschichten, aus denen unsere Erfahrungen hervorgegangen sind. Es ist umgekehrt. Die Erfahrung erfindet sich ihren Anlaß“.
Wenn ich nun mein lebenslanges Thema benennen soll, so ist es dies: Erinnerungen. Es hat in der deutschen Literatur eine Anzahl guter Biografen gegeben, denen außer dem eigenen Leben das Anderer oder eines Anderen ebenso wichtig war. Ich denke an Jacob Burckhardt, Stefan Zweig, Richard Friedenthal, Friedrich Sieburg u.a., die ausgezeichnete Biografien geschrieben haben. Alle Genannten haben hervorragende Biografien über andere Menschen hinterlassen. Sieburg hat sich zur Entstehung seiner Chateaubriand Biografie geäußert. Er sagte: „Voraussetzung ist ganz einfach ein lebenslanges Interesse und intensive Beschäftigung mit der Figur. lch habe den Chateaubriand eines Tages gefunden, der ist mir auf meinem Lebenswege begegnet, eigentlich nur als ein Zufall, und das ist also dann in mich gefahren, und von dem Augenblick an habe ich alles gelesen, was über Chateaubriand geschrieben worden ist. Und vor allem habe ich, was vielleicht noch viel schwieriger war, alles gelesen, was er selbst geschrieben hat“.
Ähnliches kann ich über Vollmoeller berichten. Der hat sich mir ebenfalls genähert, erst hab ich ihn abgewiesen. Er schien mir uninteressant, meines Alters nicht gemäß. Dummerweise bekam ich zuerst seine Altergedichte in die Hände, wahrlich keine Lektüre für einen Heranwachsenden. Beim zweiten Annäherungsversuchn nach der Lektüre des Briefwechsels zwischen Rilke und Vollmoellers Schwester Mathilde, fuhr ich extra ins Literaturarchiv, um möglichst viel über Vollmoeller zu finden und zu erfahren. Da hat er mich dann erwischt, hat mein Interesse geweckt, schon ob der miesen Behandlung, die seinem Nachlass im DLA widerfahren war. Meine Empörung ob des Umgangs mit einem literarischem Nachlass schuf sich Luft, indem ich mir die nicht zu erlangenden Informationen über Vollmoeller wo anders und auf andere Art und Weise besorgen musste. Seither beschäftigt er mich – auf die eine oder andere Weise. Inzwischen mehr im Hintergrund, doch noch immer registriere ich alle neuen Informationen, die mich zu ihm erreichen. Die soeben veröffentlichte erweiterte, bearbeitete Auflage der Biografie beweist es: sie enthält viel Material, das mir erst nach 2008 zugänglich wurde. So oder ähnlich beschäftigt man sich mit seinen Themen, nähert sich ihnen, bearbeitet sie und schreibt über sie.
Wer von Anderen über mich lesen möchte, der kann den Links folgen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Frederik_David_Tunnat
http://swbplus.bsz-bw.de/bsz281138257rez.pdf
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